Der Raum ist in warmes rotes Licht gehüllt. In der Luft liegt der Rauch verglühter Zigaretten. Der Kronleuchter strahlt gedämpftes
Licht aus, das von der Diskokugel an den Wänden reflektiert wird. Aus einem grauen Koffer nimmt eine große zierliche Frau weich fallenden roten Samt, langstielige Stoffrosen und Kerzen, mit
denen sie die kleine Bühne im Raum liebevoll schmückt.
Derweilen fegt ein in weißem Hemd und schwarze Hose gekleideter Mann fast hingebungsvoll den Boden des Raumes. Im Hinter grund spielt eine CD melancholische russische Lieder im
Zweivierteltakt. Jeweils montags unterrichten Mona und Kurth, hier im kleinen Tanzsaal des Waldschlosses, ihre Schüler in Leidenschaft und Rhythmus des
Tango Argentino.
Bevor die ersten Paare zum heutigen Kursus für Fortgeschrittene kommen, entledigt sich die Blumenhändlerin ihres modischen Alltagslooks und verwandelt sich in eine reizvoll gekleidete Frau.
Verspielt, noch etwas die Haare richtend, aufrecht und doch ein wenig scheu geht sie auf ihren Partner zu. Dieser erwidert die verführerischen Blicke, nimmt die
schlanke Frau in seine Arme, zieht sie an sich und eröffnet den Tanz mit einigen geraden Schritten durch den Ballsaal. Den Blick auf seine Partnerin gerichtet, um
ihr Herz beim Tanz nicht aus den Augen zu verlieren. Hingebungsvoll schmiegt sich Mona an seinen Hals, um seine Bewegungen zu spüren und eins mit ihm zu werden.
Spielerisch entlockt der sanfte Tänzer seiner Frau Ausfallschritte und weiche fließende Bewegungen. Unbeschwert gibt sie sich seinem Verlangen hin, lässt sich auf eine Bewegung ein, bei der sich
ihr Rock leicht öffnet und ihre langen schwarz gekleideten Beine zur Geltung kommen. Das Spiel dauert dreieinhalb Minuten, dann kommen die ersten Schüler, um sich mit den kunstvollen Drehungen im
Aufbaukurs zu beschäftigen.
"Am Tango mag ich die Unverbindlichkeit", beschreibt die Tänzerin. Ihre Hände unterstreichen sanft ihre Empfindungen.
"Wenn man in den Ballsaal geht, bekommt man Nähe, Aufmerksamkeit und geht danach einfach auseinander, ohne sich für irgendetwas verpflichten zu müssen."
Für Tango begeistert sich die Berlinerin seit knapp elf Jahren. Lange habe sie judo gelernt. Auch dort kam es zu spielerischen zwischenmenschlichen Kontakten. "Doch irgendwann war das
nicht mehr die geeignete Form für mich", bemerkt sie. Und während ihres Germanistikstudiums entdeckte sie diesen, nicht nur die weiblichen Sinne, betörenden Tanz. In diversen Workshops bei
argentinischen Lehrern studierte sie die nötigen Grundlagen und übte oft im "leider nicht mehr existierenden" Berliner Tanzsaal dem "Fliegenden
Theater". Fasziniert schwelgt Mona in den Erinnerungen an ihren Lehrer Eduardo Arquimbau, der den Tanz, wie folgt beschreibt: "Die Musik geht
zuerst ins Herz und dann in die Beine." ja, der Tango sei wie eine Umarmung. Bei ihm fließen Musik, Raum und die Körper
der Tanzenden zu einer Einheit.
Eines Tages traf Mona Kurth in einem Berliner Ballsaal, der seit jahren verschiedene Tänze studierte. Seitdem tanzen sie zusammen.
Am Tango schätzt der ausgebildete Tanzlehrer den Fassettenreichtum und die unterschiedlichen Arten von Nähe, Zärtlichkeit, die Bandbreite an Emotionen. Seine
Bewegungen werde von der Frau inspiriert. Zudem überbrücke der Tanz soziale Schichten. "Niemand erkennt im Ballsaal an der Kleidung, ob der oder die Tänzerin Akademiker oder
Fabrikarbeiterin ist." Auch spiele das Äußere keine Rolle. Allein der Tanz sei wichtig. |
|
Foto: Andreas Klaer
Die Anfänge des Tango finden sich in Argentinien. So hielten sich in den verruchten Armenvierteln im Süden Buenos Aires um das Jahr 1860 Musikanten, Gaukler, Dirnen, Zuhälter und
Einwanderer auf, die ihr Glück in Amerika zu finden suchten. Stattdessen fanden sie eine Welt voller sozialer Not, Kriminalität und Arbeitslosigkeit. Die Musik wurde den Menschen zum Trost und
Erinnerung an ihre Heimat. Lange Zeit war der Tango in der argentinischen Elite wegen seiner Herkunft verpönt. Das änderte sich um 1910 als der Tango nach Europa
kam und in Paris zum absoluten Modetanz aufstieg. Der Erfolg des Tango Argentino hing eng mit der politischen und sozialen Entwicklung des lateinamerikanischen
Landes zusammen. Als das Militär in den 30er Jahren die Herrschaft übernahm, verschwand die Musik. Seine Blüte erlebte der Tanz in den 40ern. Damals verfügte jeder Stadtteil über eine
Vielzahl an Tango-Orchestern. In dieser Zeit wandelte sich der Tanz von seinen Ursprüngen zur Musik der Intellektuellen. Mit Aufkommen des Rock n' Roll verschwand
der Tango abermals. Und seit zwanzig Jahren ist der Tanz weltweit populär. Musik- und Tanzformen verschiedenster Kulturen, beispielsweise der andalusische Flamenco, die kubanische Havanera oder
auch die afrikanische Candombeschmolzen imTangozusammen. Vorallem die Milonga, das Lied des argentinischen Gauchos, des berittenen Hirten im Dienste der großen
Viehzüchter, bildet die Grundlage.
An diesem Montagabend kommen fünf Paare zwischen dreißig und 55 jahren um die Kunst der Drehungen zu erlernen. Da die beiden Lehrer überzeugt sind, aus der Bewegung den Tanz zu entwickeln, müssen
sich die Paare im Kreis aufstellen, sich an den Händen anfassen und den Bewegungen von Kurth und Mona folgen. Rechter Fuß über seit nach links, anderer Fuß hinterrücks nach links und
von vorn bis zum Richtungswechsel. Es wirkt wie Squaredance. Die Bewegungen der Tänzer werfen Schatten an der rötlichen Wand. Nach einer gemeinsamen Übungsphase
löst sich der Kreis in Paare auf. Nun müssen die Tänzer ihre Begleiterinnen in kunstvollen Drehungen über das Parkett führen. Nach eineinhalb Stunden ist die Verwirrung perfekt. Das Licht wird
verdunkelt. Ballhausatmosphäre kommt auf und es folgen die letzten drei Tänze. Nun können die Paare ihr neu erworbenes Wissen anwenden, umsetzen und mit ihren Verunsicherungen umgehen lernen. Die
Tanzlehrer ziehen sich zurück, schauen ihren Schülern zu und bereiten sich innerlich auf ihren nächsten Kursus vor.
|